Der Weg zum modernen Bosnien und Herzegowina

Sarajevo, 23 November 2022-24

Der Weg von der ethnischen zur bürgelichen Organisation, der Weg zum modernen Bosnien und Herzegowina

Die bürgerliche Organisation von BiH ist eines der Themen, die seit langem für Kontroversen im und um den bosnischen politischen Raum sorgen. Thesen über „ethnische und bürgerliche Versöhnung“ als einzige Möglichkeit zur Verwirklichung individueller Rechte sind nur eine Falle, die darauf abzielt, die bestehende Situation zu erhalten und die hundertjährigen bosnischen Bestrebungen nach einer Vereinigung mit  modernen Zivilgesellschaften und demokratischer Staaten zu stoppen. Moderne und funktionierende westliche demokratische Gesellschaften und Staaten leugnen das Wohlwollen einer solchen politischen Rhetorik. Ausgehend vom fast dreißig Jahre alten erfolglosen bosnischen Beispiel wird deutlich, dass das ethnische politische Arrangement Ethnonationalismus, Separatismus, einen instabilen Staat und eine konfliktreiche Gesellschaft hervorbringt. In einem der Modelle, das einige internationale Akteure einbezieht, ist eine „Aussöhnung zwischen ethnisch und bürgerlich“ nur innerhalb einer ethnischen Gruppe möglich, nicht aber zwischen Angehörigen verschiedener Gruppen, oder mit denen, die unabhängig von ihrer persönlichen ethnischen, religiösen, rassischen oder sonstigen Identität nicht politisch in ethnopolitische Gruppen eingeordnet werden wollen. Anstelle einer inklusiven multiethnischen Gesellschaft würde weiterhin eine konfliktreiche, ethnisch gespaltene Gesellschaft bestehen, und die Souveränität des Staates würde in den Händen selbsternannter ethnischer Führer und der Interessen benachbarter Staaten liegen.
Die Doktrin der „ethnischen und bürgerlichen Versöhnung“, wie sie in Bosnien und Herzegowina vertreten wird, steht der Gestaltung eines modernen Staates und bürgerlichen individuellen politischen Rechten und Grundfreiheiten entgegen, die für moderne Gesellschaften und Staaten unabdingbar sein sollten. Vorschläge zur Einführung der „vierten Säule“ (des vierten Mitglieds der Präsidentschaft von Bosnien und Herzegowina) durch die Gruppe „Andere“, die ihre Rechte nicht als Einzelpersonen, also wie Bürger, sondern als Mitglieder einer neuen virtuelen “ethnische” Gruppe ausüben könnten, ist eine der Fallen, die dazu führt, dass die Perspektiven für eine moderne Zivilgesellschaft und einen demokratischen Staat und die rechtliche Gleichheit jedes Einzelnen zunichte gemacht werden.
Mit den jüngsten Änderungen des Wahlgesetzes haben Kollektive noch größere Rechte und die individuellen Rechte und die Gleichheit der Bürger, frei zu wählen und gewählt zu werden, werden noch mehr negiert, so dass die Möglichkeit besteht, nur nach ethnischer Zugehörigkeit und Wohnort zu wählen. Zunächst schien es, als seien die Entscheidungen des Hohen Repräsentanten Schmidt zur Entsperrung von Wahlen, zum Staatseigentum, zur Entsperrung der Wahl von Richtern des Verfassungsgerichtshofs und zu den Fristen für die Bildung von Behörden in der FBiH ein Anstoß in diese Richtung gewesen die Funktionalität und Demokratie von BiH zu verbessern. Jedoch sind die neuesten Lösungen das Gegenteil und stellen einen Rückschritt dar, und tun ethnische Segregation und zivile Ungleichheit zu zementieren. Die Entscheidungen des Hohen Repräsentanten in Richtung bürgerliche und ethnische Aussöhnung entfernen BiH von europäischen Werten und notwendigen Integrationen.
Für die bosnische Öffentlichkeit stellt sich eine Schlüsselfrage: Warum will man den hundertjährigen nationalen Anspruch auf ein modernes, europäisches BiH, den Weg von einem ethnischen zu einem bürgerlichen  politischen System stoppen und die demokratischen Perspektiven von BiH behindern? Und zwar nicht nur von lokalen ethno-nationalistischen, separatistischen Eliten, sondern auch von einem Teil internationaler politischer Akteure, deren Staaten und Gesellschaften Vorbild und Inspiration zum bosnischen demokratischen Übergang waren. Es scheint, dass die imperialistische Ideologie der “russischen Welt” ihre Verbündeten unter denen findet, die heute die wichtigsten Stützen für die Abwehr von Putins Aggression gegen die Ukraine darstellen! Es ist unzulässig, dass der Kollateralschaden des Modells des russischen Imperialismus und jedes anderen Ethnonationalismus eine Politik der Zugeständnisse an Schläger, die undemokratische politische Ordnung von Bosnien heute und der Ukraine, vielleicht schon morgen, sein soll.
Die vorgenannte Doktrin und Politik wird für die an alle Experimente gewöhnten bosnischen Bürger, aufgrund der Notwendigkeit des historischen Verlaufs, weder dauerhafte Ergebnisse bringen noch den mehrheitlichen Willen des Volkes für eine freie Gesellschaft und einen demokratischen Staat aufhalten. Unabhängig davon, dass der Übergang von BiH zu einem modernen westeuropäischen politischen System zu lange dauert!
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Der Hauptredner der heutigen Sesion war Milan Dunović, Vizepräsident der Föderation Bosnien und Herzegowina.

  Adil Kulenović, President
  
Association of Independent Intellectuals – Circle 99 (Bosnian: Krug 99), a leading Bosnian think-tank, was established in Sarajevo in 1993, in the midst of the Bosnian war (1992-1995), while the capital was under siege. Circle 99 provides a platform to bring together intellectuals of various professional and ethnic identities; university professors, members of the Academy of Sciences and Arts of Bosnia and Herzegovina, artists, journalists, entrepreneurs, diplomats, and other prominent figures from Bosnia and from abroad. Multidisciplinary discussions and initiatives are held each Sunday throughout the academic year, in the form of regular sessions about politics, science, education, culture, economy, and other societal issues. The overall goal is to sensitize the public towards a democratic transformation, achieving and maintaining peace, and integration of modern Bosnia into the community of countries fostering liberal democracy. Circle 99 has been declared an organization of special significance for the city of Sarajevo.